Milde 1. Januardekade = Winter ade? Studie dazu
Datum: 02. Januar 2005 17:52
Hallo,
Bisher verlief dieser Winter ja so, wie man es angesichts der letzten ca. 18 Jahre erwarten konnte.
Und die erste Januardekade verspricht ebenfalls alles andere als winterlich zu werden! Ist damit
auch der gesamte Winter gegessen? Oder klar gefragt: kann man aus dem Verhalten der oft als
weichenstellend angesehenen ersten Januardekade auf den weiteren Verlauf des Winters schließen?
Solche Fragestellungen sind hier im Forum ja ebenso beliebt wie berüchtigt - erst im letzten Monat
gab es darüber, wie der Dezember für den weiteren Winterverlauf zu bewerten ist, ja ordentlich
Streit hier! Ohne solche Kontroversen wäre es aber wohl zu langweilig, also: auf zum Januar!
Die Fragestellung, die ich untersucht habe, lautet: Wie gut ist die mittlere Temperatur der
ersten Januardekade mit der mittleren Temperatur des "Restwinters" (also vom 11. 1. - 28./29. 2.)
korreliert? Es macht nun (meiner Ansicht nach) bei solchen Untersuchungen wenig Sinn, möglichst
viele Jahre auf einmal miteinzubeziehen: bei, sagen wir mal, 100 Jahre oder mehr umfassenden
Datensätzen erhält man fast immer sehr niedrige Korrelationskoeffizienten (+1 wäre perfekt
korreliert, 0 überhaupt nicht und -1 perfekt anti-korreliert) so im Bereich 0 bis 0,2. Kein
Wunder, denn das Klima ist (mehr oder weniger) instationär, so dass es in langen Reihen immer
wieder zu Schwankungen der Korrelationsgüte kommt - im Mittel ergeben sich daraus dann die eben
erwähnten niedrigen Werte. Deshalb bevorzuge ich kürzere Zeiträume - für diese Untersuchung
benutze ich 40-Jahres-Zeiträume; man erkennt dann schnell, dass z.B. die Jahre 1901 - 1940 in
München gänzlich andere Beziehungen zwischen der 1. Januardekade und dem Restwinter aufweisen
als die Jahre 1961 - 2000!
Bei so relativ kurzen (aber klimamäßig voll passenden!) Zeiträumen besteht immer die Gefahr
sogenannter Scheinkorrelationen - man sehe dazu bitte meinen Beitrag "Rätselhafte Korrelationen",
zu finden in den "Interessanten Beiträgen". Andererseits kann man nur so erkennen, wie sich im
Laufe der Jahrzehnte/Jahrhunderte der Zusammenhang zwischen zwei betrachteten Zeitabschnitten
oft drastisch ändert.
Das folgende Bild demonstriert das recht gut; es zeigt für sieben europäische Städte, wie sehr
der "Restwinter" vom Verlauf der ersten Januardekade abhängig ist, und zwar für die Jahre 1900 - 2000.
Dargestellt ist der Verlauf des Korrelationskoeffizienten r, und zwar immer jeweils für
40-Jahres-Abschnitte, beginnend mit 1900 - 1940, dann 1901 - 1941 usw. und endend mit 1960 - 2000
(ok, das sind tatsächlich immer 41-Jahresabschnitte).

Man sieht, die ausgewählten Städte liegen in einem Streifen, der etwa längengradmäßig Mitteleuropa
entspricht und von Skandinavien sich südwärts bis nach Italien erstreckt. Am Anfang, also für
den Zeitraum 1900 - 1940, liegen die Korrelationswerte aller Städte - mit Ausnahme von Uppsala -
ziemlich dicht zusammen, so um die 0,5 herum, was einen nur mäßigen Zusammenhang zwischen den
Temperaturen des Restwinters und denen der ersten Januardekade bedeutet. Aber im Laufe der Zeit
ändert sich dies in recht systematischer Weise: die nördlich gelegenen Städte KOpenhagen und
(vor allem) Uppsala erfahren eine markante Verbesserung ihrer Korrelationswerte, die gemäßigt
nördlichen Städte Hamburg und Berlin erleiden einen leichten Rückgang der Werte, das südlicher
gelegene Frankfurt hingegen eine kräftigen Rückgang; Bologna und vor allem München als südlichste
Städte erleben einen regelrechten Einbruch ihrer Korrelationswerte.
Und so haben wir also aktuell folgende Situation: je weiter nördlicher eine Stadt liegt, umso
besser sind die Temperaturen der ersten Januardekade und die des Restwinters miteinander gekoppelt!
Ein wie ich finde sehr interessantes Ergebnis (und eine Scheinkorrelation würde ich wegen der
systematischen Nord-Süd-Änderung ausschließen). 100 Jahre vorher war von dieser Aufsplittung noch
nichts zu erkennen! Die beiden interessantesten Verläufe zeigen dabei Uppsala und München: Uppsala
startete als "Klassenschlechtester" und verbesserte sich kontinuierlich, um jetzt Klassenprimus
zu sein. Umgekehrt der Verlauf in München: schon recht früh kam es hier zu einem markanten Absturz,
und seit 30 Jahren dümpelt München jetzt schon auf solch tiefem Niveau, ja vertieft es sogar noch,
so dass die Münchener jetzt Klassenletzter sind :-). Allerdings hat das für München auch etwas
Gutes: die sich abzeichnende milde erste Januardekade muß folglich keineswegs das Ende aller
Winterhoffnungen für die Bayern sein - der sehr niedrige R-Wert sagt ja schlicht und einfach aus,
das noch alles offen ist! Schlechter sieht es hingegen für die Norddeutschen aus: der Korrelationswert
ist größer als 0,5 - damit ist es deutlich wahrscheinlicher, dass nach einer milden ersten
Januardekade auch der Rest des Winters zu mild ausfällt. Erst recht gilt das für Uppsala.
Bei solchen Untersuchungen ist es immer ratsam, sich für einige Fälle die konkreten Verteilungen
der EJD (ErsteJanuarDekade) - RW (RestWinter)-Temperaturen einmal anzusehen. Im folgenden Bild
habe ich für Uppsala, Hamburg, Frankfurt und München die EJD-RW-Streudiagramme für den Zeitraum
1960 - 2000 (in etwa, siehe Bildtexte für die exakten Zeiträume) zusammengestellt (die grünen
Linien markieren die jeweiligen Mittelwerte der Temperaturen für den betrachteten Zeitraum):

Bei Uppsala mit seinem Korrelationskoeffizienten von R=0,71 sieht man einen schon ziemlich guten
Zusammenhang der EJD-RW-Temperaturen; einige Ausreißer sind trotzdem zu finden und auch insgesamt
ist die Streubreite zu groß, um aus dem Verlauf der EJD wirklich verläßliche Winterprognosen zu
erhalten - aber immerhin: eine starke Tendenz zu mildem weiteren Winterverlauf kann der Langzeitprognostiker
in Uppsala schon verkünden, falls es in den nächsten Tagen so mild bleibt! Sein Kollege in Hamburg
hat es da schon etwas schwerer, denn hier finden sich jetzt schon mehr Ausreißer; nichtsdestotrotz
erkennt man noch gut den generellen Trend "je wärmer EJD desto wärmer auch der RW". Speziell gilt
dies ganz gut bei zu warmer EJD - es sieht also eher schlecht aus für den "richtigen Winter" in
Norddeutschland! In Frankfurt mit einem R-Wert von 0,25 erkennt man nur noch grob einen Zusammenhang
der Temperaturen von EJD und RW, und in München ist jeglicher Zusammenhang endgültig ausgelöscht!
Im ersten Bild habe ich aus Platzgründen nur die Kurven für sieben Städte gezeigt; in der folgenden
Tabelle liste ich deshalb die R-Werte für 17 Städte in Europa auf, und zwar in der zweiten Spalte
die 40-jährigen Korrelationswerte für den Zeitraum 1960 - 2000 (+/- ein paar Jahre, je nach
Lauflänge der einzelnen Reihen), in der dritten Spalte die 80-Jahreswerte für den Zeitraum 1920 - 2000
und in der letzten Spalte die Werte für den gesamten jeweils zur Verfügung stehenden Zeitraum.
Korrelationen für: Erste Januardekade versus Restwinter (11. 1. - 28. 2.)
Station | r 40 Jahre | r 80 Jahre | r gesamt
---------------|-------------|-------------|-----------------
Oestersund | 0.620 | 0.37 | 0.359 (83 a)
Uppsala | 0.710 | 0.51 | 0.393 (278 a)
Petersburg | 0.580 | 0.48 | 0.422 (115 a)
Kopenhagen | 0.679 | 0.57 | 0.546 (123 a)
Vilnius | 0.549 | 0.48 | 0.435 (99 a)
Hamburg | 0.520 | 0.55 | 0.519 (101 a)
Berlin | 0.465 | 0.53 | 0.481 (126 a)
Oxford | 0.374 | 0.40 | 0.247 (148 a)
Frankfurt | 0.221 | 0.42 | 0.433 (130 a)
Prag | 0.277 | 0.42 | 0.376 (227 a)
Paris | 0.173 | 0.31 | 0.264 (101 a)
Karlsruhe | 0.223 | 0.42 | 0.425 (126 a)
Basel | 0.117 | 0.31 | 0.301 (99 a)
München | 0.102 | 0.28 | 0.337 (120 a)
Bologna | 0.188 | 0.40 | 0.443 (187 a)
Marseille | 0.080 | 0.29 | 0.311 (101 a)
Sarajevo | -0.018 | 0.24 | 0.298 (102 a)
Die Stationen sind in etwa von Nord nach Süd angeordnet. Auch bei dieser erweiterten Liste sieht
man gut die generelle Abnahme des 40-Jahres-Wertes von Nord nach Süd. Beim 80-Jahres-Wert ist
dieser Trend kaum mehr zu erkennen. Und die 80-Jahres-Werte und die Werte aus der Gesamtreihe
sind sich in den meisten Fällen schon recht ähnlich; allerdings sind die Lauflängen der Gesamtreihen
z.T. sehr unterschiedlich.
Diese Untersuchung beweist zweierlei: erstens, dass geradezu zwangsläufig sich Martin aus Kiel und
Ivo aus München in die Haare kriegen müßen über die Bedeutung gewisser Prognoseregeln, und zweitens,
dass bei Anwendung "klassischer" Prognoseregeln, wie z.B. den Baur'schen, die Gefahr groß ist,
ziemlichen Schiffbruch damit zu erleiden, weil diese Regeln mittlerweile völlig überholt sein können!
Eigentlich schreit diese Studie nach einer nachfolgenden, in der untersucht wird, was die Winter
in Nordeuropa mittlerweile prognosetechnisch gesehen von denen in Südeuropa unterscheidet. Natürlich
weiß ich, dass der Winter in Bologna doch deutlich anders verläuft als der in Uppsala; hier geht es
aber nur darum herauszufinden, warum aktuell in der Nordhälfte Europas Winterprognosen anscheinend
spürbar besser machbar sind als in der Südhälfte (vor einigen Jahrzehnten gab es da ja gar keine
großen Differenzen - siehe Bild 1). Und die Trennung zwischen der "prognosestarken" und der
"prognoseschwachen" Hälfte Europas verläuft offenbar quer durch Deutschland (naja, der Übergang
ist natürlich nicht sonderlich abrupt ...).
Vielleicht fühlt sich ja jemand durch diesen Beitrag zu solch einer Analyse angeregt - mir selbst
wird wohl leider auf unabsehbare Zeit dieselbige dazu fehlen!
Viele Grüße,
Wolfgang